Die Organisation, die hinter einer Kreuzfahrt steckt ist umfangreich und doch meist unsichtbar für das Auge des Gastes. Wir haben mal hinter die Kulissen geschaut und uns von Lotse zu Lotse unterhalten.
Lotsen sind für jedes Schiff, also auch für Kreuzfahrtschiffe, bei Hafenein- und -ausfahrten unersetzlich. Häfen ohne Lotsenpflicht gibt es fast nicht, eine der wenigen Ausnahmen ist der Hafen von Kopenhagen.
Mit diesem Interview möchten wir euch nicht nur einen Einblick hinter die Kulissen geben, sondern auch ein interessantes Berufsfeld näherbringen.
Getroffen haben wir uns mit Martin Finnberg, Ältermann der Lotsenbrüderschaft NOK II, Kiel, Lübeck und Flensburg. Der 50-jährige Lotse hat vor dem Besuch der Seefahrtsschule seine Ausbildung sowie auch ein Teil seiner Fahrzeit bei der Oldenburg Portugiesischen Dampfschiffsreederei und der Hamburg Süd absolviert. In den Jahren 1991 bis 1995 schloss er sein Studium mit Diplom und nautischem Patent in der Hansestadt ab.
Bereits sieben Jahre später startete gebürtige Hamburger seine Ausbildung und Bestallung bei der Lotsenbrüderschaft NOK II, Kiel, Lübeck und Flensburg, wo er von 2009 bis 2019 stellvertretender, und nun seit März 2019, Ältermann ist.
Mit seiner Familie lebt der Lotse heute in Plön bei Kiel.
Herr Finnberg, was genau macht ein Lotse und wozu wird er gebraucht?
Auf den deutschen Seeschifffahrtstrassen müssen in der Regel alle Schiffe über 90 Meter Länge und 13 Meter Breite sowie einem revierbezogenen Tiefgang einen Seelotsen annehmen. Auf die klassischen Wissensfelder Seezeichen, Wassertiefen, Kurse und Verkehrsregeln aufbauend unterstützt der Lotse die moderne Schiffbesatzung auf einem modernen Schiff bei gutem Wetter als eine Art „Virenschutzprogramm“. Er zeigt Risiken auf, berät, wie diese zu bewerten oder zu vermeiden sind und unterstützt beim Manövrieren des Schiffes.
Außerdem ist er die Schnittstelle nach außen und sorgt zusammen mit der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (Verkehrszentralen / Genehmigungsbehörden) für möglichst effektive und reibungslose Verkehrsabläufe. Er ist der direkte Ansprechpartner der WSV, wenn es darum geht was man noch machen kann. Damit ist zum Beispiel gemeint, dass der Lotse berät bei welchem Wetter man mit welchem Schiff noch manövrieren kann, welches Schiff wann andere Schiffe für einen optimalen Verkehrsablauf überholen kann oder aber auch wie viele Schiffe noch in die Schleuse des Nord-Ostsee-Kanals passen.
Bei weniger modernen Schiffen oder bei schwierigen Wetterlagen ( zum Beispiel Sturm oder verminderte Sicht) übernimmt der Lotse auch Teile der Schiffsführung und bietet dem Schiff sozusagen ein Rundum-sorglos-Paket, von beispielsweise der Seestation, also der Zustiegsposition der Lotsen, bis zu einem Liegeplatz.
Dazwischen liegt das ganze Spektrum, von unterstützender Hilfe bis zum eigenen Manövrieren und die Besatzung an die Hand zu nehmen. Jedes Schiff bekommt die Hilfe, die es benötigt.
Gute Lotsen sind wie eine gute Heizung: man merkt sie im normalen Betrieb nicht und es ist für alle angenehm.
Was sind die täglichen Aufgaben als Lotse? / Wie ist der Ablauf (vom Zustieg bis zum Abstieg) an Bord?
Der Einsatz beginnt regelmäßig an der Kieler Schleuse. Hier entscheidet sich bei Ankunft, welchen Job man an dem Tag macht, das heißt in welche Richtung man fährt, welches Schiff man bekommt oder ob man zum Beispiel mit dem Taxi oder Lotsenboot zum Leuchtturm Kiel befördert wird.
Im Bereich der Kieler Förde und des Hafen macht man dann vier Fahrten zwischen Leuchtturm und Schleuse oder Hafen. Im Bereich Nord-Ostsee-Kanal geht es einmal nach Rendsburg (etwas südlich davon zum Kanalkilometer 55) und zurück. Das bedeutet, dass man hier zwei Schiffe am Tag hat.
Wie wird man Lotse?
Die deutschen See- und Hafenlotsen rekrutieren ihren Nachwuchs aus aktiven Kapitänen und deren Stellvertretern, die an Bord eine bestimmte Fahrzeit erfüllt haben und nach bestandenem medizinischem und psychologischem Test von der Aufsichtsbehörde und den Lotsenbrüderschaften nach Ihrer Eignung ausgewählt werden. In der Regel vergehen damit nach einem allgemeinen Schulabschluss etwa zehn bis 15 Jahre, bis sich ein Nautiker zum Seelotsen bewerben kann.
Die Ausbildung dauert weitere acht Monate in Theorie und Praxis im jeweiligen Lotsrevier, in dem der spätere Einsatz stattfinden soll.
Was unterscheidet den (stellvertretenden) Ältermann von den anderen Lotsen und welche zusätzlichen Aufgaben hat er?
Er ist ein für fünf Jahre gewählter Vertreter der Lotsenbrüderschaft nach innen sowie nach außen. Er ist in wechselnden Größenanteilen in der Verwaltung am Brüderschaftssitz tätig und nicht mehr voll in der Fahrt an Bord.
Was sind die Herausforderungen in diesem Beruf?
Sich jeden Tag in seiner Arbeit auf neue Bedingungen einzustellen, eine gute Antenne für die Menschen an Bord zu behalten und immer einen Plan B in der Tasche zu haben. Ein Großteil der Arbeit, geschätzt ca. 60 Prozent, sind Psychologie. Ein Händchen für Shiphandling wird natürlich vorausgesetzt, sonst wird man es schwer haben in unserem Beruf.
Wie sind denn die Arbeitszeiten eines Lotsen?
Ganz einfach: es gibt keine festen Arbeitszeiten. Wenn wir nach Börtliste an der Reihe sind, kommen wir zur Schleuse und erfahren unseren heutigen Auftrag. Das kann ein Einsatz in Flensburg, auf der Kieler Förde, im Hafen oder eine Nord-Ostsee-Kanaltour sein. Der Arbeitseinsatz dauert, je nach Schiffsaufkommen, ca. sieben bis zehn Stunden im Schnitt. Danach reiht man sich wieder hinten in die Liste ein. Rund 100 Lotsen sind im Bereich Kiel jeweils im Dienst, fünfzig haben frei oder sind zu Fortbildungen unterwegs.
In der Regel ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf aber gut, weswegen der Beruf gerne von ehemaligen Seeleuten ergriffen wird. Man ist regelmäßig zu Hause und nicht mehr monatelang unterwegs. Es kann zwar sein, dass man einen Tag nach einem Nachtdienst im wahrsten Sinne des Wortes verschläft, andererseits kann man aber auch an einem Vormittag in der Woche etwas unternehmen und muss nicht in der Wochenendschlange stehen.
Haben die Lotsenbrüderschaften Nachwuchssorgen?
Im Moment noch sieht es da noch sehr gut aus. Wir profitieren bei uns von einem attraktiven, abwechslungsreichen Revier (Flensburg, Lübeck, die kleinen Ostseehäfen Schleswig Holsteins, sowie Kieler Förde, Häfen und Nord-Ostsee-Kanal) mit einem hohen Freizeitwert der Ferienregionen.
Die deutsche Seefahrt bietet vielen Kapitänen und Schiffsoffizieren immer weniger Beschäftigung, der Verwaltungsdruck an Bord wird größer, dadurch haben wir im Moment ausreichen Bewerber.
Es zeichnet sich aber ab, dass wir in fünf bis zehn Jahren bei hohen Altersabgängen immer weniger Bewerber aus der Seefahrt bekommen werden.
Man beginnt bereits damit, sich alternative Zugangs- und Ausbildungswege zum Lotsenberuf
zu überlegen, die dann zum Tragen kommen sollen. Abnahme bei Erfahrungszeit an Bord muss dann durch Zunahme an Ausbildung bei den Lotsen ausgeglichen werden.
Und wie gestaltet sich das Arbeitsumfeld?
Meist arbeitet man mit drei bis fünf Kollegen auf anderen Schiffen in der Nähe zusammen und trifft zum Beispiel Manöverabsprachen etc.
Es ist aber noch ein typischer Männerberuf, weil die erforderliche Seefahrtzeit meist genau in der Zeit einer Familienplanung liegt. Das bedeutet, dass eine Frau sich entweder für Familiengründung und an Land zu bleiben oder für eine Karriere in der Seefahrt entscheiden muss.
Das ist biologisch in diesem System auch nicht ohne weiteres zu ändern. Es könnte sich aber verändern, wenn im Zuge einer verkürzten Seefahrtzeit bei einer neuen Ausbildungsform, jüngere Nautikerinnen in den Bewerberpool hinzukommen könnten.
Wo sind die Unterschiede zwischen Fracht- und Kreuzfahrtschiffen, die in Ihrem Beruf eine Rolle spielen?
Frachtschiffe sind in der Regel weniger ausgestattet, was Besatzung und Technik angeht. Wirtschaftlicher Betrieb steht im Vordergrund. Nicht immer passen die Manövriereigenschaften zum Einsatzgebiet des Schiffes. Ich gebe mal ein Beispiel: Ein Containerschiff von 200 Meter Länge mit Start/Stopp 2takt Umsteuermaschine, ganz Langsam Voraus (kleinste Fahrtstufe 6 Knoten) ist für die Feederfahrt und mehrere Anlegestellen im Hafen oder eine Nord-Ostsee-Kanal Passagage nicht optimal geeignet.
Die Besatzungen sind durch häufige Revierfahrten stark beansprucht und nutzen die Zeit mit Lotsen an Bord gerne zum „ausruhen“.
Kreuzfahrtschiffe sind in der Regel heute top ausgestattet, windempfindlich und haben sehr wache und anspruchsvolle Schiffsführungen. Darauf muss man sich immer neu einstellen.
Benötigt man eine besondere Ausbildung, um Lotse auf einem Kreuzfahrtschiff zu sein?
Nein, die Kollegen arbeiten sich über drei bis fünf Jahre in der sogenannten Schiffsgrößenbeschränkung hoch und nehmen an speziellen Simulatorschulungen teil. Kein junger Lotse wird in der Anfangszeit auf ein großes Kreuzfahrtschiff kommen. Man startet bei uns mit 100 x 15 Metern in der ersten Größengruppe und dann geht es in ca. 20 Meter Schritten halbjährlich aufwärts. Ein Lotse für ein 200 Meter langes Kreuzfahrtschiff ist also mindestens drei bis vier Jahre im Beruf.
Gibt es einfachere und schwierigere (Kreuzfahrt-)Schiffe?
Die Kreuzfahrtschiffe sind entweder manövertechnisch oder menschlich anspruchsvoll.
Die älteren Modelle mit zwei Propellern und einem Ruderblatt in der Mitte dazwischen mussten immer mit viel Fahrt und Schlepperhilfe bewegt werden. Das war beispielsweise im Nord-Ostsee-Kanal und noch Nebel ein Job für echte Könner.
Heute sind die Schiffe mit sehr guten Maschinen, Strahlern, Manövrierhilfen und Antriebskonzepten ausgestattet, dass das Manövrieren selbst einfach ist.
Die Reedereien betreiben auch in Aus- und Fortbildung ihrer Besatzungen einen hohen Aufwand. Die Zusammenarbeit ist in der Regel sehr professionell, es gibt viele Parallelen zu Verfahren und Sicherheitsbewusstsein in der Luftfahrt.
Das macht es menschlich etwas anstrengender, denn diese Schiffsführungen haben ein sehr großes Sicherheitsdenken – was natürlich auch verständlich ist, denn es geht um die Sicherheit vieler Menschen an Bord.
Es gelingt aber nicht immer allen Kollegen diese Bedürfnisse, unter Beachtung der übrigen Schifffahrt im Revier, zu befriedigen.
Die Kreuzfahrtschiffe werden dafür immer größer und die Einwirkung von Wind auf das Manövrierverhalten auch. Ein Kreuzfahrtschiff ist heute auch immer ein „Segelschiff“.
Inwiefern unterscheidet sich Kiel von anderen Häfen, gibt es besondere Schwierigkeiten oder Hindernisse?
Kiel ist grundsätzlich ein perfekter Hafen für Schiffe und Kreuzfahrer. Es gibt eine natürlich ausreichende Wassertiefe, praktisch keine Gezeiten und so können auch große Kreuzfahrtschiffe auch bei hohen Windstärken gut manövrieren.
Das Risiko, dass Sie mit einem Kreuzfahrtschiff den Anlauf wegen Wetter nicht durchführen können und im Hintergrund die ganze Passagierlogistik platzt, ist sehr gering.
Manchmal kommen sogar umgeroutete Schiffe deswegen nach Kiel, weil zum Beispiel Lübeck oder Rostock-Warnemünde Windbegrenzungen haben müssen.
Unsere Herausforderung in Kiel ist, dass sich große Schiffe nahtlos in den Zulauf zu Nord-Ostsee-Kanal und den Kleinverkehr einfügt und mit dem eigenen hohen Sicherheitsansprüchen die anderen Verkehre (40.000 Schiffsbewegungen im Bereich Kieler Förde im Jahr) nicht stört.
Wo steigen die Lotsen in Kiel zu?
Bei einlaufenden Schiffen steigen wir am Kieler Leuchtturm, bei auslaufenden Schiffen am Liegeplatz oder in der Kieler Schleuse Richtung Ostsee zu.
Hatten Sie besondere Erlebnisse oder Highlights in Ihrem Beruf, an die Sie sich gerne erinnern oder auf die Sie gerne zurückblicken?
Ich war mal zur Kieler Woche am Tag der Windjammerparade auf ein Container-Feederschiff in der Schleuse zum Leuchtturm Kiel abgeteilt. Das nennen wir Seejob.
Die Kieler Förde war so voller Segel- und Ausflugsschiffe, dass man trockenen Fußes hätte queren können. Wir haben uns langsam und vorsichtig durch die Massen an Kleinfahrzeugen geschoben und der osteuropäische Kapitän hat mir vollständig die Schiffsführung überlassen.
Im Verlauf der Reise fragte er dann: „Mr.Pilot, will this traffic stay up to the lighthouse?“
Ich: „Oh no. All the sailing boats will turn around at the lighthouse and return to Kiel”
Er: “Oh, that‘s good for you”
Ich: “Why?”
Er: “Because I will keep you onboard until St.Petersburg if the sailing traffic continues after the lighthouse.”
Ein anderes Mal fragte mich ein Besatzungsmitglied im dichten Nebel im Nord-Ostsee-Kanal nach einer Stunde an Bord Richtung Schleuse Holtenau, wann wir denn nun endlich ELBE 1 wären“ – was weder zum Reiseverlauf, noch zur Geographie passte… Das war aber trotz der konzentrierten Nebelfahrt nach Kursen und Radar ein auflockerndes, lustiges Erlebnis.
Haben Sie eigentlich Lieblingsschiffe?
Nein, die habe ich eigentlich nicht. Die Bedingungen sind sehr verschieden und auf ihre Art manchmal sehr schön.
Es kommt vor, dass man um 22:00 Uhr ein kleines, abgearbeitetes Küstenmotorschiff auf Reede nach Brunsbüttel besetzt und die eigene Laune nicht die Beste ist. Sehr oft ist es dann aber menschlich und kulturübergreifend sehr nett.
Umgekehrt genauso: tolle moderne Schiffe mit sehr schwierigen Besatzungen…
Ich bin sehr gerne auf Schiffen, die nur selten das Revier befahren. Wir nennen diese Schiffe „Outsider“. Es herrscht in der Regel dort eine gespanntere Aufmerksamkeit, die Beratung und Arbeit des Lotsen wird aufgesogen und entfaltet ihren vollen Nutzen. Manchmal passiert es auch, dass altbekannte Linienschiffe neue Betreiber und Besatzungen haben. Dann hat man das gleiche Erlebnis, dachte aber vorher, dass es wird ein ganz normaler Routineeinsatz wird.
Wir danken Martin Finnberg sowie der Lotsenbrüderschaft NOK II, Kiel, Lübeck, Flensburg für die Bereitschaft, uns und euch viele interessante Einblicke ermöglicht zu haben.